Erhöhte Prognosegenauigkeit in Krisenzeiten

Steven Pauly

Letzte Aktualisierung : June 19, 2023
Steven Pauly

Ganz gleich, ob die Nachfrage konstant ist oder aufgrund von äußeren Einflüssen schwankt, die älteste Regel der Prognostik gilt nach wie vor: Jede Vorhersage ist falsch. Selbst die erfahrensten Bestandsexperten tun sich manchmal schwer, die zukünftige Nachfrage sicher vorherzusagen. Vor allem in unsicheren Krisenzeiten wie der aktuellen Corona-Pandemie können sich ungenaue Prognosen häufen, was wiederum zum genauen Gegenteil des gewünschten Ergebnisses führt: Nämlich zum falschen Bestand am falschen Ort und zur falschen Zeit.

Wie also kann die Prognosegenauigkeit in unsicheren Zeiten erhöht werden? Welche Parameter sind unabdingbar für präzise und fundierte Prognosen? Da jede Vorhersage grundsätzlich falsch ist, machen viele Einkäufer und Bestandsmanager den Fehler, als Grundlage für ihre Entscheidungen auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Wieso sich jedoch auf vage Vermutungen und das Bauchgefühl verlassen, wenn genügend Daten zur Interpretation zur Verfügung stehen? Der erste Schritt sollte somit sein, sich ausgiebig zu informieren. Im Anschluss gilt es eine Prognosestrategie zu entwickeln, die flexibel ist und die Auswirkungen von Fehlprognosen minimiert. Wie dies in der Praxis aussehen kann, soll im weiteren Verlauf gezeigt werden.

Vorhersagen treffen während einer globalen Unsicherheit

Die Auswirkungen von COVID-19 haben Einfluss auf die verschiedensten Bereiche unseres Lebens. Darunter auch das Bestands- und Supply Chain Management.  Angesichts der Unterbrechung globaler Lieferketten, gestaltet sich die Prognose und Bestandsplanung deutlich komplizierter. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die auf Standardprognosetechniken und Tabellenkalkulationen zur Bestandsüberwachung setzen. Dennoch bleiben auch Unternehmen, die spezialisierte Tools verwenden, nicht von dieser Entwicklung verschont.

Viele Prognosetechniken betrachten nur historische Daten und sind darauf ausgelegt, plötzliche Änderungen nicht zu stark zu gewichten. Dies mag ideal für kurzfristige Materialengpässe oder unerwartete Umsatzspitzen sein, greift aber zu kurz, wenn es um die Planung langfristiger Unterbrechungen geht. Aus diesem Grund ist die Implementierung der richtigen Prognosestrategie entscheidend für den Erfolg und oft sogar wichtiger als gute statistische Modelle. Denn was nützen teure Prognosemodelle, wenn sie nicht dafür ausgelegt sind, mit Störungen und schwierigen Situationen umzugehen?

Bias und Varianz im Prognoseprozess

Wenn jede Vorhersage grundsätzlich falsch ist, wie lassen sich dann eine gute und schlechte Vorhersage unterscheiden? Die Antwort ist simpel: Eine gute Vorhersage bewährt sich in neuen und unvorhergesehenen Situationen. Aber woher weiß ich, ob dies auf meine Vorhersagen zutrifft? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns anschauen, was in der Statistik “Bias” und “Varianz” genannt wird.

Ein Beispiel

Kopf oder Zahl ist ein all bekanntes Spiel. Nehmen wir an, eine Münze wird 100.000-mal geworfen, mit dem Ziel, herauszufinden, wie oft das Ergebnis auf Zahl fällt. Die meisten werden wahrscheinlich bereits an eine bestimmte Zahl denken. Da beide Seiten eine 50%ige Chance aufweisen, macht es Sinn vorherzusagen, dass die Münze 50.000-mal auf Zahl landen wird.

Hierbei werden allerdings implizit ein paar Annahmen getroffen. Nämlich, dass es sich um eine echte Münze handelt, mit einer bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilung (50/50), und dass der Münze nichts Unerwartetes zustößt wie dass sie zerbricht oder womöglich wegfliegt. In der Statistik wird dies als Bias bzw. Verzerrung bezeichnet.

Nachdem die Münze nun 100.000-mal geworfen wurde, zeigen die Daten, dass sie 46.795-mal auf Kopf gelandet ist und 53.205-mal auf Zahl. Wird dieses Ergebnis gerundet, ergibt sich eine Aufteilung von 47% / 53%. Übersetzt man diese Daten in eine Prognose, hieße das, dass man 54.000 Einheiten vorhersagen würde. Jeder Statistik-Laie wird an dieser Stelle jedoch anmerken, dass dies kein zuverlässiges Modell ist, da jeder Durchlauf, bei dem die Münze 100.000-mal geworfen wurde, ein anderes Ergebnis hervorbringen wird. Dieser Unterschied in den Ergebnissen bei der Verwendung desselben Modells wird als Varianz bezeichnet.

Kehren wir nun zu unserer ursprünglichen Frage zurück: Woher weiß ich, ob mein Prognosemodell robust genug ist, um neue und unvorhergesehene Situationen zu bewältigen? Um es mit den zuvor beschriebenen Begriffen zu beantworten: Je geringer die Varianz und Verzerrung eines Models – desto besser die Vorhersage.

Das vorangegangene Beispiel zeigt also, dass es besser ist, Daten zu interpretieren, um Muster zu erkennen, als diese lediglich zu betrachten und aus diesen zu schlussfolgern. In der Praxis bedeutet dies, dass die Grundlage für eine gute Vorhersage darin besteht das zugrundeliegende Muster in den eigenen Daten zu finden und die richtige Prognosetechnik für dieses Muster anzuwenden.

Implementierung der richtigen Prognosestrategie

Viele Menschen denken, dass eine komplexere Prognosetechnik genauere Vorhersagen liefert. Dies ist falsch. Im Kern leisten alle Techniken das Gleiche – sie finden Muster in den eingegebenen Daten und verwenden diese Muster, um eine Vorhersage zu treffen. Wenn wir die Komplexität ignorieren und uns nur auf die Genauigkeit konzentrieren, finden wir zwei Dinge heraus:

  • Einfache Techniken sind oft überlegen
  • Der Unterschied zwischen den Techniken ist oft minimal

Das Geheimnis für mehr Prognosesicherheit ist also nicht die Technologie, sondern die Implementierung einer Strategie, die schnell auf Veränderungen reagieren kann. Dies ist während der aktuellen globalen Lieferkettenunterbrechung noch deutlicher geworden. Viele Unternehmen können eine statistische Technik in Excel anwenden oder ein Softwaresystem eine Prognose erstellen lassen. Aber es sind die Unternehmen, die schnell und richtig auf unerwartete Veränderungen reagieren können, die einen Wettbewerbsvorteil genießen.

Bias und Varianz minimieren

Die Lagerverfügbarkeit ist ein entscheidender Faktor für den E-Commerce in Bezug auf Umsatz, Gewinnspanne und Kundenzufriedenheit. Bestimmen Sie zunächst Ihre Strategie und setzen Sie diese in datengesteuerte Prozesse um. Stellen Sie sicher, dass sich die Planer auf Dinge konzentrieren, mit denen Sie Ihr Geld verdienen können.

Prognoseausschlüsse

Das Wichtigste in einem Vorhersageprozess sind die statistischen Kriterien, auf denen Ihre Prognose basiert. Dies sind Indikatoren, die definieren, was eine Verzerrung ist, und die Sie alarmieren, wenn sie zu steigen beginnt. Wenn es ein statistisch anormales Ereignis gibt, wie z. B. eine weit verbreitete Unterbrechung der Lieferkette aufgrund eines pandemischen Virusausbruchs, werden Sie die drastischen Veränderungen bemerken, die dies bei den zugrunde liegenden Datenmustern verursacht.

Es reicht jedoch nicht aus, nur über Bias bzw. Verzerrungen Bescheid zu wissen. Es muss auch richtig reagiert werden. Der Schlüssel dazu ist die Kommunikation und Abstimmung zwischen allen direkten Partnern in der Logistikkette und im eigenen Unternehmen. Dies sollte zu einer “Konsens”-Prognose führen: eine Kombination aus einer statistischen Prognose und menschlichen Erfahrungswerten. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass dies eine bessere Vorhersage liefert als ein alleiniges statistisches Modell.

ABC-Analyse

Eine genaue Vorhersage ist unmöglich, wenn Tausende von SKUs überwacht werden müssen. Besonders in einer unterbrochenen Lieferkette ist es wichtig, dass Einkäufer und Bestandsmanager den Fokus auf die Artikel legen, die für ihr Unternehmen am wichtigsten sind. Die Durchführung einer ABC-Analyse auf der Grundlage von Kriterien, die für Sie wichtig sind (Umsatz, Margen, Top-Kunden), wird Ihnen helfen, Ihre höchsten Prioritäten zu identifizieren.

Lieferanten-Lieferzeiten

Wenn die Lieferketten Ihrer Lieferanten ebenfalls beeinträchtigt sind, werden deren Lieferzeiten unvorhersehbar. Wenn die Lieferzeiten unzuverlässig und lang sind, wird eine gute Bestandsverwaltung wiederrum unmöglich. Die Diversifizierung Ihres Lieferantennetzwerks kann dazu beitragen, das Risiko von Single Points of Failure zu reduzieren. Kurze, zuverlässige Lieferzeiten werden oft als “Kniff” angesehen, da sie die Auswirkungen falscher Prognosen erheblich reduzieren können.

Unternehmensregeln

Zu wissen, welche Prognosetechniken in einer bestimmten Situation richtig sind, ist in Echtzeit nur schwer zu bewerkstelligen, vor allem, wenn sich Ihre gesamte Lieferkette innerhalb weniger Tage ändert. Die Entwicklung von Unternehmensregeln, die im Voraus festlegen, welche Prognosetechniken Sie auf der Grundlage bestimmter Kriterien verwenden werden, hilft Ihnen, Ihre Reaktionszeit zu verkürzen und ermöglicht es Ihnen, mit Sicherheit zu agieren. Dies erfordert Aufwand und Koordination, ermöglicht es Ihnen aber, schwierige Situationen nicht nur zu überstehen, sondern auch Ihre Konkurrenz zu übertrumpfen.

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