12. HERAUSFORDERUNGEN IM BESTANDSMANAGEMENT DER MODERNE
Die gesteigerte Geschwindigkeit und Dynamik auf den internationalen Märkten sowie immer kürzer werdende Produktlebenszyklen verlangen nach schnelleren Entscheidungen der Unternehmen. Daraus resultiert auch eine veränderte Sicht auf Bestände und Bestandsmanagement, die ihnen heute eine ungleich höhere Bedeutung zuschreibt. Während vor einigen Jahren hohe Bestände noch für die gesicherte Zukunft eines Unternehmens standen, wird heute wegen des gestiegenen Kostendrucks eine Reduktion bzw. Verschlankung der Bestände gefordert. Diese wird als erfolgsversprechende Maßnahme gesehen, um Kosten und Kapitalbindung zu reduzieren.
Aufgabe eines modernen Bestandsmanagements ist es daher, das Verhältnis von Lagerinvestition, Kundenservice und Rentabilität zu optimieren. Ein möglichst hoher Servicegrad bei möglichst geringen Bestandskosten ist daher die gängige Maxime. Im Fokus der entsprechenden Konzepte stehen die Materialbestände der gesamten Supply-Chain. Diese stehen vor der Herausforderung, ein Höchstmaß an Variabilität und Komplexität zu erreichen und zu gewährleisten.
Mehrstufige Bestandsoptimierung ist ein innovativer Ansatz zur gewünschten ganzheitlichen Optimierung der Bestände. Dieser ermöglicht, die Bestände für jeden Zeitpunkt in der Supply Chain vollumfänglich zu planen und auf Kundenbedürfnisse einzustellen. Insbesondere die Sicherheitsbestandsplanung kann auf ein neues Level gehoben werden.
12.1 Bestandsmanagement optimieren
Bestände haben einen klaren Einfluss auf Kostenstruktur und Finanzierung. Neben konkreten Kenntnissen und Fähigkeiten, die die Bestandshöhe beeinflussen können, muss vor allem auch ein Bewusstsein für Bestandsoptimierung entstehen, welches diese als fortlaufenden Prozess begreift, der stetiger Aufmerksamkeit bedarf.
Die zentrale Aufgabe eines modernen Bestandsmanagements ist es, schwankende Marktbedarfe effizient und zuverlässig durch eine schlanke Planung und Steuerung aller Wertschöpfungsprozesse zu decken. Die hohe Kunst ist es nach wie vor, die optimale Balance zu finden zwischen Bestandsminimierung, stabiler Lieferfähigkeit und absoluter Zuverlässigkeit.
Die jährliche Inventur, d.h. die Erfassung der Vorräte und die Auswertung dieser Daten, ist in diesem Sinne ein wichtiges Instrument der Bestandsoptimierung. Sie reicht aber nicht aus, um die Bestände effektiv zu führen. Die permanente Inventur ist in vielen Fällen eine bessere Alternative, da sie täglich wichtige Daten liefert. Die Bestände können fortlaufend das ganze Jahr körperlich aufgenommen werden. Die buchmäßige Inventur findet weiterhin am Bilanzstichtag statt. Mit dieser Inventurmethode ist ein Überblick über die Bestände zu jedem Zeitpunkt des Geschäftsjahres gewährleistet und ein Vergleich der geplanten und tatsächlich vorhandenen Bestände von Monat zu Monat ermöglicht. Durch das Aufteilen der Inventuraktivitäten kann die Bestandssituation genauer analysiert werden. Zudem können Nachteile der Stichtagsinventur umgangen werden, wie etwa durch die mehrfache Aufnahme von besonders wichtigen, gefährdeten oder kritischen Materialen. Damit liefert die permanente Inventur die Grundlage für eine Abweichungsanalyse.
Die permanente Inventur unterliegt vom Staat gestellten, strengen Anforderungen. Die erfassten Daten bestehen aus Art, Menge, Zu- und Abgängen für jedes einzelne Produkt im Bestand. Die entsprechenden Belege müssen zwei Jahre aufbewahrt werden. Einmal im Jahr muss das Unternehmen eine körperliche Bestandsaufnahme durchführen. Bei sehr wertvollen oder leicht verderblichen Beständen darf das Verfahren nicht angewendet werden.
12.2 Ersatzteilmanagement für ehemalige Produkte als Teildisziplin
Der Ersatzteilmarkt ist robuster gegenüber Konjunktur und Absatzschwankungen und nicht zuletzt deshalb inzwischen hart umkämpft. Und gerade in Märkten mit zum Großteil erschöpftem Erstkäuferpotential ist die Unterstützung des primären Produktgeschäftes durch attraktive Nebenleistungen erforderlich. Eine zeitnahe Versorgung des Kunden mit Ersatzteilen spielt eine entscheidende Rolle zur Wettbewerbsdifferenzierung. Die Unternehmen versuchen daher, ihre Marktanteile über umfassende logistische Leistungen zu sichern. Das Grundproblem des Bestandsmanagements – höchstmöglicher Servicegrad versus kleinstmögliche Lagerkosten – wiederholt sich so auch in diesem Bereich.
Entscheidend ist es, sicherzustellen, dass das Ersatzteil zum Wunschtermin des Kunden verfügbar ist. Die Wiederbeschaffungszeit für Ersatzteile übersteigt in der Regel aber die vom Kunden geforderten extrem kurzen Lieferzeiten. Die Unternehmen sind daher gezwungen, die nach diesem Kriterium zu lange Durchlaufzeit durch teils umfangreiche Lagerbestände zu kompensieren. Auch Verteilungen über mehrstufige Distributionssysteme können notwendig sein, um möglichst geringe Lieferzeiten zu erreichen.
Für eine effektive und wirtschaftliche Bestandssteuerung bedarf es möglichst exakter Planungsverfahren und Prognosen. Wegen der spezifischen Eigenschaften des Ersatzteilverbrauchs stellt dieses Aufgabenfeld eine besondere Herausforderung dar. Denn Ersatzteile werden zur Erhaltung oder Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes eines Primärproduktes verwendet, weshalb ihr Bedarf abhängig ist von den Qualitäten und dem Lebenszyklus eben jenes Primärprodukts. Hinzu weitere Einflussfaktoren, die die Qualitäten des Ersatzteils selbst betreffen, die Instandhaltung sowie den Markt und das Umfeld.
Hinsichtlich der Prognose wird zwischen qualitativen und quantitativen Prognoseverfahren unterschieden. Die Korrelation von Produktlebenszyklus, Ersatzteilbedarf und Prognoseverfahren kann in Form dreier Phasen beschrieben werden:
- In der Einführungsphase des Primärprodukts müssen Ersatzteile verfügbar sein, um mögliche Frühausfälle sofort beheben zu können. Da aber bezüglich Verbrauch und Ausfallverhalten des Produkts noch keine Vergangenheitsdaten zur Verfügung stehen, werden zu diesem Zeitpunkt vor allem qualitative Prognoseverfahren angewandt. Diese basieren auf Erfahrungen und Kenntnissen von Experten oder einfach aufgebauten Regeln und können stark subjektiv sein. Analogieverfahren, die auf Vergangenheitsdaten vergleichbarer Produkte zurückgreifen, sind eine Alternative.
- Die Sättigungsphase zeichnet sich durch eine relativ konstante Nachfrage bzw. Bedarf des Primärprodukts aus. Dies gilt aber nicht analog für die Ersatzteile. Die zufällige Natur der Ausfälle, eine gestiegene Anzahl an kundenspezifischen und komplexen Primärprodukten, die stetige Verkürzung von Innovations- und Markteinführungszyklen und lange Garantiedauern von Ersatzteilen ziehen ein breites Spektrum an Ersatzteilen nach sich. Die Folge sind niedrigere Bedarfsmengen der einzelnen Ersatzteile und höhere Schwankungen um den Nullverbrauch. Daher sollte eine Vielzahl von Einflussfaktoren beachtet werden. Folgerichtig muss zuvor eine Klassifizierung der Ersatzteile auf Basis der Verbrauchsmerkmale vorgenommen werden. Dann kann ein geeignetes quantitatives Prognoseverfahren gewählt werden. Bei diesen lassen sich grundsätzlich folgende Typen unterscheiden: zeitreihenanalytische Verfahren, lebensdaueranalytische Verfahren, koeffizientenbasierte Verfahren, kausalanalytische Verfahren.
- In der Degenerationsphase sinkt die Nachfrage nach dem Primärprodukt deutlich. Der Ersatzteilbedarf bleibt aber weiterhin hoch und es besteht Planungsbedarf bezüglich des langfristigen Bedarfs an Ersatzteilen nach Beendigung der Produktion. Die wesentliche Schwierigkeit liegt darin, einen langfristigen Planungshorizont zu betrachten, der die Prognosegenauigkeit reduziert. Hier können qualitative und quantitative Verfahren zum Einsatz kommen, wobei Erstere häufiger verwendet werden (hauptsächlich Analogieverfahren).