1. Definition

Unter einer Bedarfsprognose bezeichnet man das analytische Verfahren, mit dem im Rahmen der verbrauchsorientierten Bedarfsermittlung auf Basis der vergangenen Verbräuche auf künftige Bedarfe geschlossen wird. Basierend auf dem Zusammenhang zwischen dem historischen Verbrauch und dem zukünftigen Bedarf, werden anhand mathematisch-statistischer Vorgänge die künftigen Bedarfe erschlossen.

Man unterscheidet zwischen Primärbedarf, Sekundärbedarf und Tertiärbedarf. Beim Primärbedarf handelt es sich um fertige Erzeugnisse, das heißt um jene Produkte, die man letztendlich verkaufen möchte. Der Begriff Sekundärbedarf bezeichnet alles, was man benötigt, um seine Erzeugnisse zu erstellen, wie zum Beispiel Rohstoffe und Einzelteile. Stoffe, die für die Herstellung oder Erzeugung des Sekundärbedarfs benötigt werden, wie Hilfsstoffe oder Betriebsstoffe bezeichnet man als Tertiärbedarf.

Der Prognosezeitraum hängt vom Verhältnis der Durchlaufzeit zur geforderten Lieferzeit ab. Handelt es sich um eine Durchlaufzeit, die kürzer ist, als die geforderte Lieferzeit, kann direkt nach Kundenwunsch gefertigt werden. Ist die Durchlaufzeit länger, ist eine Prognose erforderlich.

2. Bedarfsprognosen im Supply-Chain-Management

Aus einer falschen Bedarfsprognose resultieren Engpässe oder zu hohe Lagerbestände. Beides zieht gewiss einen Umsatzverlust mit sich. Eine differenzierte und detailgenaue Bedarfsprognose kann Engpässe und zu hohe Bestände dauerhaft vermeiden. Deshalb ist die Bedarfsprognose ein elementarer Bestandteil der unternehmerischen Beschaffungs- und Absatzplanung. Die Zuverlässigkeit und Qualität einer Bedarfsprognose hat einen enormen Einfluss auf die Steuerung und Flexibilität der Supply Chain eines Unternehmens. Eine erfolgreiche Bedarfsprognose kann im Wettbewerb ausschlaggebend sein und einem Unternehmen den entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Jede Bedarfsprognose basiert dabei auf dem Auftragsbestand, dem Absatzverlauf der Vergangenheit und den zukünftigen Erwartungen. Neben Bedarfsinformationen, die aus Markt- und Branchenkenntnissen geworben werden können, dienen vor allem vergangene Bedarfszahlen als Informationsgrundlage und wesentlicher Faktor bei der Prognose einer zukünftigen Nachfrage.  Ein häufiges Problem der Unternehmen hierbei ist, dass ihr Absatz in der Regel schwankend und stochastisch ist und somit eine Prognose erschwert wird.

3. Bedarfsschwankungen erschweren die Prognose

Ein schwankender und stochastischer Absatz ist zurückzuführen auf saisonale Abweichungen oder Trends. Das heißt wiederum, dass der vergangene Absatz nicht immer gleich dem Bedarf ist. Gewisse zeitliche Perioden benötigen womöglich einen höheren Bedarf. Im turbulenten Marktumfeld sind Unternehmen zudem häufig gezwungen, sich flexibel an variierende Bedarfsrhythmen ihrer Kunden anzupassen und unterschiedliche Liefermengen bereitzustellen. Jene stochastischen Abweichungen erschweren eine Prognose.

Ein weiteres Problem stellen „neue“ Produkte dar, die keine historischen Daten besitzen und noch nicht verkauft wurden. Dies erschwert eine Bedarfsprognose allgemein, da nicht auf den Verbrauch aus der Vergangenheit zurückgegriffen werden kann. Verlässliche Prognosen bieten Standardprognoseverfahren allerdings nur bei „normalverteilter“ Nachfrage. Bei saisonalen Schwankungen oder Trends ist es fast unmöglich, eine differenzierte und detailgenaue Bedarfsprognose anhand Standardprognoseverfahren zu ermitteln. Der Bedarf eines Artikels ist daher nur zuverlässig prognostizierbar, wenn der Absatz bereits für einen längeren Zeitraum anhält, nicht zu stark variiert und sich nicht plötzlich sprunghaft verändert.

4. Der konstante, saisonale und trendförmige Bedarfsverlauf

Verschiedene Bedarfsverläufe einzelner Artikel erfordern unterschiedliche Prognoseverfahren. Die Auswahl des Prognoseverfahrens hat dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Zuverlässigkeit und erzielbare Prognosequalität. Drei charakteristische Bedarfsverläufe sind zu unterscheiden: Der konstante Bedarfsverlauf, der saisonal schwankende Bedarfsverlauf und der trendförmige Bedarfsverlauf.

Bedeutung unterschiedlicher Bedarfsverläufe für die Bedarfsprognose

4.1 Der konstante Bedarfsverlauf

Ein konstanter Bedarfsverlauf zeichnet sich dadurch aus, dass er nur in geringem Maße schwankt. Demnach ist der Bedarf über einen längeren Zeitraum gleichbleibend. Gelegentliche Schwankungen sind zufällig und keine Regelmäßigkeit.

4.2 Der saisonal schwankende Bedarfsverlauf

Ein saisonal schwankender Bedarf liegt bei zeitlich wiederkehrenden Bedarfsschwankungen vor. Es treten Unterschiede zum Durchschnittsbedarf auf, die sich durch eindeutige Ursachen erklären lassen, wie zum Beispiel bestimmte Jahreszeiten oder Feiertage etc. Diese Schwankungen sind deutlich größer als bei zufälligen Bedarfsschwankungen.

4.3 Der trendförmige Bedarfsverlauf

Von einem trendförmigen Bedarfsverlauf spricht man, wenn über einen längeren Zeitraum der Verbrauch stetig steigt oder fällt. Zufällige Schwankungen sind zu vernachlässigen.

5. Prognoseverfahren – Konzeption einer verbrauchsorientierten Bedarfsprognose

Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Prognoseverfahren etabliert. Man unterscheidet deterministische, stochastische und heuristische regelbasierte Bedarfsprognosen. Die Prognose zukünftiger Bedarfe basiert auf mehreren Faktoren, die miteinander verbunden sind und gegeneinander abgewogen werden sollten. Eine Kombination der unterschiedlichen Prognoseverfahren kann bei der Ermittlung einer zuverlässigen Bedarfsprognose sinnvoll sein.

5.1 Deterministische Bedarfsprognosen

Unter einer deterministischen Bedarfsprognose versteht man das Verfahren, die Bedarfe exakt nach Menge und Termin auf der Grundlage konkreter Aufträge oder des Absatz- oder Produktionsprogramms festzulegen. Diese Art des Prognoseverfahrens dient der Ermittlung des Sekundärbedarfs. Der zukünftige Bedarf wird anhand eines als determiniert angenommenen, prognostizierten Primärbedarfs ermittelt. Die Berechnungsbasis bildet somit der Primärbedarf, der vorab anhand eines Absatzprogramms geplant werden muss.

5.2 Heuristische Bedarfsprognosen

Auch hilfreich bei der Erstellung einer Prognose sind beispielsweise Einschätzungen des Vertriebes über das erwartete Verhalten bekannter und potenzieller Kunden in den einzelnen Absatzregionen genau wie Informationen über die Wahrscheinlichkeit der Auftragserteilung. Auch Analysen von Marktreaktionen auf Vertriebsmaßnahmen und Marketingstrategien wie zum Beispiel Preisveränderungen oder mehr gezielte Werbung, können aufschlussreich sein. Aus diesen Informationen lassen sich Veränderungen des zu erwartenden Auftragseingangs prognostizieren. Diese subjektiven Schätzungen erfahrener Disponenten werden auch als heuristische Prognosemethode bezeichnet.

5.3 Stochastische Bedarfsprognosen

Die Extrapolation der Vergangenheit durch mathematisch-statistische Prognoseverfahren stellt das dritte Element einer Prognose künftiger Auftragseingänge dar. Bei diesen sogenannten stochastischen Bedarfsprognosen werden mathematisch-statistische Verfahren angewendet, die auf der Wahrscheinlichkeitstheorie aufbauen, um den optimalen Bedarf zu berechnen. Als Grundlage dieser Methoden dienen die Verbrauchswerte der Vergangenheit, welche statistisch ausgewertet werden und in Prognosen umgewandelt werden. Derartige praktisch angewandte Prognoseverfahren unterstellen einen Zusammenhang zwischen dem Verbrauch in der Vergangenheit und dem Bedarf in künftigen Zeiträumen. Im Folgenden werden Beispiele derartiger Prognoseverfahren aufgelistet:

  • Einfache, gleitende und gewogene gleitende Mittelwertbildung
  • Glättung 1. und 2. Ordnung
  • Regressionen

Als Prognoseverfahren bei einem konstanten Bedarfsverlauf eignet sich die Berechnung arithmetischer Mittelwerte, die Bildung gleitender Mittelwerte oder die exponentielle Glättung 1. Ordnung. Bei einem trendförmigen Bedarfsverlauf bzw. linear steigendem Bedarfsverlauf werden insbesondere die exponentielle Glättung 1. Ordnung mit Trendkorrektur, die exponentielle Glättung 2. Ordnung sowie die einfache lineare Regression angewendet. Bei einem saisonal schwankenden Bedarfsverlauf lassen sich die Verfahren der multiplen Regression sowie exponentiellen Glättung analog anwenden, sofern die Verbrauchswerte so gewählt werden, dass sie sich saisonal entsprechen. Eine differenzierte Beschreibung der einzelnen stochastischen Prognoseverfahren finden Sie hier: Absatzprognose

6. Auswahl des geeigneten Bedarfsprognoseverfahrens

Welches Prognoseverfahren sinnvoll ist und sich am ehesten eignet, kann nicht allgemein beantwortet werden. Für die Auswahl des geeigneten Verfahrens zur Bedarfsprognose sind die folgenden Kriterien hinzuzuziehen:

  • Verlaufsanalyse (Konstant, Trend, Saison)
  • Differenz zwischen Prognosewerten und Ist-Werten
  • Reaktion auf Bedarfsänderungen, aber Unempfindlichkeit gegenüber Zufallsschwankungen
  • EDV-Anforderungen

7. In fünf Schritten zur Bedarfsprognose

Folgender Ablauf leitet sich somit für eine stochastische und verbrauchsorientierte Bedarfsprognose ab:

1. Aufnahme von Zeitreihen

2. Verlaufsanalyse (Konstant, Trend, Saison)

3. Auswahl der Methode (Gleitender Mittelwert, Exponentielle Glättung, Regressionsanalyse)

4. Erstellung der Bedarfsprognose

5. Beurteilung der Prognosequalität

8. Optimierung der Bedarfsprognose – Entfernen von Entgangenen Umsätzen und zu hohen Beständen

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Optimierung der Einkaufs- und Beschaffungsorganisation eine unternehmensindividuelle Aufgabe ist. Wer seine Bedarfsprognose verbessern möchte, sollte sich zunächst folgende Frage stellen: Wie genau und differenziert erfolgt die Bedarfsprognose und welche Folgen haben Absatzschwankungen auf die Bestandsstruktur?

Häufig ist die unzureichende Qualität von Marktprognosen auf den Versuch, für einzelne Endproduktvarianten die voraussichtliche Absatzmenge anzugeben, zurückzuführen. Dies hat zur Folge, dass die Zahlen für den tatsächlichen Bedarf auf den anderen Dispositionsebenen von den prognostizierten Werten abweichen. Bewährt hat sich deshalb, in einem ersten Schritt das Absatzvolumen für eine überschaubare Anzahl von Produktgruppen zu planen.

Ebenso Einfluss auf die Prognosequalität hat die zeitliche Rasterung der Bedarfsprognose. So besitzen wochengenaue Prognosewerte eine bessere Prognosequalität als beispielweise monats- oder quartalsgenaue Prognosewerte.

9. Literaturhinweise

Schulte 2013, S. 387

Schulte 2013, S. 401 ff.

Tempelmeier 2012, S. 57 ff.

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